Fair Bildung

Von Uwe Steimle


Kabarettist Uwe Steimle hat Fragen an die Kanzlerin vor dem Bildungsgipfel in Dresden - eine polemische Streitschrift.

Sagt ein Mann aus der Bundesrepublik zu einem Dresdner Taxifahrer beim Befahren der Augustusbrücke: "Sagen Sie, guter Mann, was ist das für ein Fluss hier?" "Das ist die Elbe", antwortet der Mann am Steuer. "Nein, nein, das kann nicht sein", ruft der Wessi - "die Elbe fließt in Hamburg." Was soll man dazu sagen? Nichts. "Lerne schweigen, ohne zu platzen", stand bei mir zu Hause über dem Küchentisch. In Zeiten virtuellen Geldes fließt die Elbe eben zweimal.

Ja, liebe Frau Merkel, wir waren mal ein gebildetes Volk. WIR. Auch das Elbsandsteingebirge wurde nach der Kehre von der BRD aufgebaut, für uns - damit wir nicht mehr so weit in den Urlaub fahren müssen. Danke auch dafür.

Was das alles mit Bildung zu tun hat? Eine Menge. Erstens ist das Weglassen einer Nachricht auch eine Nachricht, und zweitens ist diese ganze Bildung gegenwärtig wirklich der Gipfel. Es gab da mal ein Land, in dem auch Sie, Frau Merkel, aufgewachsen sind, da wurde allen Kindern ein warmes Mittagessen gereicht; auch daran ging die DDR zugrunde, sie hat sich um ihr Kapital gekümmert - ihre Kinder. Manche Kommune würde heute pleitegehen, wollte sie das Geld aufbringen für eine warme Mahlzeit am Tag. Da reden wir noch nicht über den Unterrichtstag in der Produktion, Krippenplatz, Kindergartenplatz, Ferienlager. Und ganz aktuell Berufsausbildung mit Abitur - wird gerade getestet in Thüringen.

Bitte, Frau Merkel-Bundeskanzlerin, sagen Sie es allen. Alles, was jetzt mit großem Tamtam neu erfunden werden soll, hat es schon mal gegeben. In der DDR. Ich war dabei und leide nicht an geschichtlichem Alzheimer. Was lernen die jungen Menschen heute auf ihrem Weg zu allseits gebildeten kapitalistischen Persönlichkeiten? Erfahren sie im Fach Geschichte, dass die "Ostzone" fast die gesamten Reparationskosten an Polen und Russland bezahlt hat?

Darf nur Geld arbeiten?

Und, Frau Bundeskanzlerin, wie halten wir es mit dem 8. Mai 1945? Tag der Niederlage, der Kapitulation oder doch der Befreiung? Oder doch eher nicht, also nicht wirklich oder nur ein Stück weit? Auf so eine wichtige Frage kann es nur eine Antwort geben. Und die darf in Bayern nicht anders interpretiert werden als in Bremen oder Berlin. Bildung ist Staatsaufgabe, geschichtliche allemal. Der erste wichtige Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg war Stalingrad, nicht erst die Landung in der Normandie. Oder haben wir das alles falsch gelernt?

Sie werden in Dresden verkünden, ich bin mir sicher, liebe Frau Merkel, dass das viel gelobte, viel gepriesene finnische, ja skandinavische Schulsystem, nach dem die BRD so gerne schielt, in Wahrheit unser Schulsystem war, das Schulsystem der DDR. In dem man schon nach zwölf Jahren zum Abitur geführt wurde, ohne noch ein Jahr Schauspielunterricht dranhängen zu müssen.

Warum darf Geld arbeiten, nicht aber der Mensch? Was ist die Gründung eines Staates gegen die Plünderung eines Staates? In den Medien verkünden Sie, dass nicht der Kapitalismus schuld sei am Fastzusammenbruch des Systems, sondern dass einzelne Stellschrauben falsch justiert waren. Das ist ungefähr so, als würde ich feststellen, der Pflaumenmus ist nicht schlecht, er ist nur vergoren. Wir hier in Deutschland Nah-Ost wurden erzogen unter dem Motto: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Heute heißt es: Der Schein! Wörtlich und im übertragenen Sinne. Wofür sonst steht virtuelles Geld?

Alle Kinder in unserem Land sollen in den Genuss der Bildung kommen - ohne Ansehen der Person oder ihrer Herkunft. Der Zugang zu einem einheitlichen Schulsystem als Staatsziel und Aufgabe. Grundtugenden wie Disziplin, Pünktlichkeit und Ordnung gilt es neu zu vermitteln. Und zwar von Lehrern, die Zeit haben und ausreichend bezahlt werden. Der Lehrer hat zu bilden, das Elternhaus zu erziehen.

Auf Deutsch heißt das: Nur erzogene Kinder kann ich auch bilden. Damit die Eltern Vorbild sein können in der Erziehung, müssen sie arbeiten können - und nicht das Geld. Liebe, Güte, Solidarität mit den Menschen sind zu vermitteln - nicht Solidarität mit den Banken.

Glück auf zum Bildungsgipfel

Wenn das alles auf dem Bildungsgipfel auch nur mal erwähnt würde, dann könnte ich frohen Herzens sagen: Meine Heimat BRD. Wenn der real existierende Kapitalismus Herzensbildung vermitteln kann, dann will ich angekommen sein - im Hier, im Jetzt. Ansonsten bleibt mir als Dresdner immer noch die Romantik.

Zum Abschluss noch ein schöner Satz meines Bäckermeisters. Der sagte neulich: In der DDR hatten wir immer die Hoffnung, dass es besser wird. Hier habe ich manchmal den Verdacht, dass es ganz schnell zu Ende gehen kann. Übrigens geht dieser Bäcker neuerdings mit Stelzen auf Arbeit. Ich fragte ihn, warum er das tut: "Ich hab gehört, den Großen wird geholfen."

Mittwoch, 22. Oktober 2008

(Sächsische Zeitung)