"Deutschland sucht die Supernull "

Harald Martenstein fährt Cabrio und lässt sich dabei beschimpfen


Von Harald Martenstein | © DIE ZEIT, 09.07.2009 Nr. 29

Ich bin, falls stimmt, was ich in letzter Zeit höre, ein Arschloch, ein Blinder, eine blöde Sau, eine blinde Sau, der letzte Depp, wo rumläuft, der Sieger von Deutschland sucht die Supernull sowie ein Pfeifenzeisig.
Vor einiger Zeit habe ich mir ein neues gebrauchtes Auto gekauft, es ist ein Cabrio. Ich weiß, dass ein Cabrio auf manche Leute provozierend wirkt, ein Cabrio sieht nach reichem Nichtstuer aus, nach Baywatch und Saint-Tropez. Dies ist sehr ungerecht. Mein Cabrio war nicht teuer. Ich bin berufstätig, krankenversichert, lese Bücher und alles. Ich bin wie du, kein bisschen anders. Nun, hin und wieder genieße ich das Leben. Für das ZEITmagazin durfte ich in der Vergangenheit einige Male Autos testen, die Kollegin, die für die Verteilung der Automobile zuständig ist, hat mir immer Cabrios gegeben, ich fand das Gefühl super. Offenbar bin ich der Cabriotyp. Wenn dies mein Schicksal ist, dann nehme ich es an.

Oft, wenn ich an der Ampel stehe oder langsam fahre, gleiten andere Autos an mich heran, leise, wie Krokodile in einem Tierfilm, die Fenster stehen offen oder werden geöffnet, und die Fahrer beschimpfen mich auf eine Weise, wie ich im Leben niemals beschimpft worden bin. Ich habe Menschen Schlechtes getan, das gebe ich zu, ich war ungerecht, unbeherrscht und selbstsüchtig, die meisten Menschen haben dies mehr oder weniger schweigend hingenommen. Nun reden sie. Das Schlimmste ist, dass ich mich niemals verteidigen kann, ich kann auch nicht zum Gegenangriff übergehen, nicht dass ich keine Schimpfwörter wüsste oder dass in meinen Adern Wasser flösse, zur Aggression bin auch ich fähig. Aber nach der Beschimpfung fahren sie sofort ihre Scheiben wieder elektrisch hoch und geben Gas. Ich habe kein einziges Mal eine Beschimpfung erwidern dürfen! Ich bin Zidane. Aber Materazzi läuft einfach weg. Über diesen Aspekt des Cabriofahrens spricht niemand, ich war nicht vorbereitet. Als ich die Test-Cabrios fuhr, ist es seltsamerweise niemals vorgekommen, ich habe beim Testen offenbar anders ausgesehen, ich habe nicht mit dieser provozierenden Selbstverständlichkeit am Steuer gesessen. Anlass der Beschimpfung ist meistens eine kleine Regelwidrigkeit. Ich habe eine Sekunde zu spät geblinkt, ich gebe beim Umspringen der Ampel auf Grün nicht sofort Gas, ich fahre mit Tempo 58, obwohl Tempo 60 erlaubt ist. Es kommt aber auch vor, dass gar nichts war. Nichts war gewesen, wie man in Berlin sagt, ich sitze bloß an der Ampel im Cabrio, höre Peter Fox, singe "Berlin, du kannst so schrecklich sein, deine Ampelphasen fressen mich auf", die Sonne scheint, neben mir fährt die Scheibe hinunter, eine Stimme bellt: "Penner! Vogel! Sackgesicht!" Es sind immer Männer. Ihr Motiv ist nicht Sozialneid, oder nicht nur, ich bin auch schon aus einem Porsche und sogar aus einem Hummer heraus beschimpft worden. Es ist, weil ich mich nicht wehren kann, weil ich offen bin, ein offenes Angebot für Männer, die wütend sind. Bestimmt habe ich eine sozialhygienische Funktion. Weil ich in Berlin herumfahre, gibt es weniger Schlägereien, weniger Überfälle, weniger Ehedramen. Ich bin der Menschensohn, ich nehme eure Sünden auf mich, wenn ihr mühselig und beladen seid, kommt zu meinem Cabrio. Ich merke es schon fast nicht mehr. Ich drehe einfach die Musik lauter, ich bin blind und taub, ein blinder Depp, ich bin der Pfeifenzeisig, und das ist gut für die Gesellschaft, ohne Cabrios würden wir uns doch gegenseitig alle totschlagen.